Freitag, 12. Juni 2015

Wahre Gotteserkenntnis (1)


"XIX. Der ist nicht wert, ein Theologe zu heißen, der Gottes »unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt« (Röm. 1, 20).
Das zeigen die ganz deutlich, die solches taten und trotzdem Röm. 1, 22 vom Apostel Toren genannt werden. Ferner: Gottes unsichtbares Wesen sind Kraft, Gottheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Güte usw. Dies alles zu erkennen, macht weder würdig noch klug.

XX. Sondern nur der, der Gottes sichtbares und (den Menschen) zugewandtes Wesen durch Leiden und Kreuz erblickt und erkennt.
Das (dem Menschen) zugewandte und sichtbare Wesen Gottes ist das Gegenteil des Unsichtbaren, nämlich: seine Menschheit, Schwachheit, Torheit, wie 1. Kor. 1, 25 von der göttlichen Schwachheit und Torheit spricht. Weil nämlich die Menschen die Erkennbarkeit Gottes aus seinen Werken missbrauchen, wollte Gott wiederum im Leiden erkannt sein und die Weisheit vom Unsichtbaren durch die vom Sichtbaren verwerfen, damit die, die den in seinen Werken offenbaren Gott nicht verehrten, (nun) den in Leiden verborgenen verehrten, wie 1. Kor. 1, 21 sagt: »Weil die Welt nicht durch die aus Gott stammende Weisheit Gott mit Weisheit erkannte, hat es Gott gefallen, durch törichte Predigt zu retten, die daran glauben.« 

So genügt oder nützt es keinem schon, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt. So »macht er die Weisheit der Verständigen zunichte usw.« (1. Kor. 1, 19), wie Jesaja sagt: »fürwahr, du bist ein verborgener Gott« (45, 15). So Joh. 14: Als Philipp nach Art der Theologie des Ruhmes sagte: »Zeige uns den Vater« (V. 8), holte Christus alsbald den Höhenflug der Gedanken, die Gott anderswo suchen wollten, zurück und wendete ihn auf sich zurück mit den Worten: »Philipp, wer mich sieht, sieht auch meinen Vater« (V. 9). Also liegt in Christus dem Gekreuzigten die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und Joh. 14, 6 heißt es: »Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.« »Ich bin die Tür usw.« (10, 9)."

Luther, Heidelberger Disputatio. 

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