Donnerstag, 20. September 2012

Gebt Gott Das Mikrofon

Vor einiger Zeit bat mich mein Pastor, jemanden aus der Gemeinde zu interviewen. Er warnte mich jedoch: „Dieser Mann ist äußerst gesprächsfreudig und wir müssen die eingeplante Zeit unbedingt einhalten. Was auch immer du also tust, überlass ihm auf gar keinen Fall das Mikrofon!
Ich stellte die erste Frage mit dem Mikrofon und hielt es dann ganz fest in der Hand während ich auf seine Antwort wartete. Es schien auch alles ganz gut zu laufen, bis er mitten in seiner Antwort meinte: „Macht es dir etwas aus, wenn ich es nehme (er meinte das Mikrofon)?“ Ich konnte natürlich kein öffentliches Tauziehen veranstalten, also überließ ich ihm das Mikrofon; mit dem Ergebnis, dass die Zeit bei Weitem überschritten wurde!
Ich möchte uns davon überzeugen, dass das Lehren durch ganze Bücher der Bibel Gott das Mikrofon überlässt. Natürlich ist es nicht falsch über Themen zu predigen; aber die nahrhafteste Grundnahrung sind biblische Bücher. Der Fachjargon dafür ist „fortlaufende Auslegungspredigten“.1 Es bedeutet einfach durch Bücher der Bibel hindurch zu predigen und aus diesen herauszubringen, was Gott durch seinen Geist in sie hineingelegt hat.
Lifestyle-Tipps?
Vor ein paar Jahren fuhr ich mit meiner Tochter und ihrer Freundin zu einem Vergnügungspark. Während die Mädchen bei einer haarsträubenden Achterbahn anstanden, las ich in Gedanken versunken ein Buch. Zu meiner Überraschung sprach mich ein Fremder an und fragte mich, wo ich zur Gemeinde gehe. Es stellte sich heraus, dass er Christ war und gesehen hatte, dass ich ein christliches Buch las. Wir begannen ein Gespräch und als ich ihm erzählte, dass ich beruflich Prediger ausbilde, sagte er etwas wehmütig, dass in seiner Gemeinde die Predigten eher wie Lifestyle-Tipps seien als irgendetwas Substantielles aus der Bibel. Was er brauchte, auch wenn er es vielleicht nicht erkannte, sind fortlaufende Auslegungspredigten!
Hier sind sieben Beispiele für den Segen, der auf einer solchen Art, die Bibel zu lehren, liegt.
1. Fortlaufende Auslegungspredigten verhindern, dass Gottes Agenda von unserer vereinnahmt wird.
Wenn wir ein Thema lehren, halten wir Gott das Mikrofon hin und stellen ihm unsere Fragen. Wir halten das Mikrofon gerade lange genug hin, um seine Antwort zu hören, und nehmen es dann wieder weg. Wir wollen nicht riskieren, ihm das Mikrofon zu überlassen; es könnte ja sein, dass er uns alles Mögliche sagen will, was wir gar nicht hören wollen. Durch fortlaufende Auslegungspredigten geben wir Gott das Mikrofon und hören auf das, was er uns zu sagen hat. Er gibt die Agenda vor.
Dann müssen wir uns keine Sorgen darüber machen, ob unsere Predigt relevant ist, weil wir wissen, dass die gründlich ausgelegte Bibel immer relevant ist. Denn Gott, der sie eingegeben hat, kennt unsere Herzen. Außerdem werden wir dann nicht von dem Gefühl versklavt, unsere Zuhörer unterhalten zu müssen. Wir leben in einer Kultur, in der gilt: „Wir amüsieren uns zu Tode“ (so der Titel eines provokanten Buches von Neil Postman). Prediger meinen, sie müssten mit den Spielfilmen und Seifenopern konkurrieren. Charles Spurgeon hat einmal von Predigern gesprochen, die einen Bibeltext „wie eine Aufstiegshilfe benutzen, um von ihm aus unser geflügeltes Pferd Pegasus zu besteigen“. Der Text scheint nicht unterhaltsam genug zu sein. Also springen wir von ihm ab zu etwas, das unterhaltsam ist. Fortlaufende Auslegungspredigten hingegen vertrauen darauf, dass die Bibel für hungrige Herzen interessant und spannend ist.
Gott weiß am besten, was wir brauchen – Auslegungspredigten.
2. Fortlaufende Auslegungspredigten machen es uns schwerer, Bibelstellen aus dem Zusammenhang zu reißen.
Man kann die Bibel sagen lassen, was immer man will, wenn man Verse aus dem Zusammenhang reißt. Es ist zwar nicht unmöglich, aber sehr schwer, viele einzelne Verse jeweils in ihrem Kontext zu lesen.  Wenn jemand über ein Thema predigt, muss er aber genau das versuchen. Auch für die Zuhörer ist es schwer. Es ist so, als wenn man sich auf einer Rundreise mit vielen Kurzaufenthalten befindet. Der Hubschrauber landet kurz in Exodus; wir sehen uns schnell um. Und dann, bevor wir wissen, was die Stunde geschlagen hat, sind wir schon wieder unterwegs und landen nur Sekunden später vielleicht in der Offenbarung, und so weiter. Es ist verwirrend, selbst wenn unser Reiseleiter sehr verantwortungsvoll und umsichtig ist.
Einer der großen Segen von fortlaufenden Auslegungspredigten ist der, dass wir in aller Ruhe durch die einzelnen Verse eines Buches geführt werden und diese dabei in ihrem Zusammenhang lesen.
3. Fortlaufende Auslegungspredigten vermindern die Selektivität des Predigers.
Mir wird jedes Mal bange, wenn mich jemand bittet „Bitte komm und predige über das Thema Heilsgewissheit.“ Hilfe! Und was mach ich jetzt? Dann durchstöbere ich meine geistige Landkarte der Bibel (einschließlich einiger Konkordanzen und Kommentare) bei dem Versuch alles, was hilfreich sein könnte, zu sammeln. Meine Zeit ist natürlich begrenzt, also kann ich die Bibel nicht von vorn bis hinten durchlesen. Ich wähle hilfreiche Texte aus der Bibel aus, die ich zufällig kenne und liebe, versuche sie in irgendeine verständliche Reihenfolge zu bringen und halte dann meine Predigt.
Aber die ganze Zeit über gehen mir diese Fragen nicht aus dem Kopf: „Christopher, wie kannst du dir sicher sein, dass du nicht einen entscheidenden Teil der biblischen Lehre in Bezug auf dieses Thema vergessen hast? Oder woher weißt du, dass du die angemessene Ausgewogenheit in der biblischen Lehre dieses Themas hast?“ Ich kann mir nicht sicher sein! Meine Lehre reflektiert wahrscheinlich mein eigenes bruchstückhaftes Wissen und meine Vorurteile.
Aber wenn ich eine fortlaufende Auslegung angehe, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich muss den Text lesen, ihn nochmal lesen, beten, und an diesem Abschnitt die Woche über nagen, wie ein Hund an einem Knochen, danach strebend, das zu predigen, was dieser Abschnitt aussagt, und nicht das, worüber ich gerade predigen will. Natürlich muss immer noch jemand das Buch in der Bibel auswählen, über das gepredigt werden soll, und wir sollten versuchen das Gleichgewicht der ganzen Bibel zu wahren. Aber wenn das Buch ausgewählt ist, müssen wir es treu und im Zusammenhang predigen.
Das bedeutet auch, dass wir uns mit unbequemen Themen auseinander setzen müssen, einfach weil sie in unserer Reihe drankommen. Der einzige Grund, warum ich über Gemeindeausschluss gepredigt habe, ist der, dass ich durch Matthäus 18 gepredigt habe und das Thema nicht vermeiden konnte. Es wird aber nicht für viele thematischen Predigtreihen ausgewählt!
4. Fortlaufende Auslegungspredigten halten den Inhalt der Predigt frisch und überraschend.
Bei manchen Predigern weiß man im Voraus, was sie sagen werden. Wenn ihr Bibelabschnitt von Gebet handelt, bekommt man ihre Standardpredigt über das Gebet. Wählt man einen anderen Abschnitt, der das Thema Gebet streift, bekommt man genau die gleiche Predigt. Ihr Predigen fühlt sich fast jede Woche gleich an. Das Ergebnis ist ein verkürztes Evangelium und ein zweidimensionales, verflachtes Wort Gottes.
Aber jeder Bibelabschnitt existiert, weil er etwas Einmaliges zu Gottes Offenbarung beisteuert. Wenn ein Prediger fragt, „Was steuert dieser Abschnitt bei? Warum wird diese Wahrheit auf diese Weise durch diesen Abschnitt diesen Zuhörern erzählt?“, dann gibt es ein Gefühl von gesunder Überraschung und Frische in der Predigt. Es ist immer dasselbe Evangelium, aber nie dieselbe Predigt.
5. Fortlaufende Auslegungspredigten fördern eine Vielfalt an Stilen.
Der fünfte Segensaspekt steht in engem Zusammenhang mit dem vierten. Während es beim vierten um die Frische des Inhalts geht, handelt der fünfte von der Frische des Stils. Manchmal verbinden Menschen Auslegungspredigten mit einem monotonen Gleichbleiben des Stils. Genau das Gegenteil sollte der Fall sein. Denn die Bibel hat eine große Vielfalt an Stilen. Römer, Johannes, Sprüche und Hiob haben sehr unterschiedliche Stile. Das Predigen sollte diese Vielfalt reflektieren (obwohl es das oft nicht tut). Wenn unsere Prediger Bibelbücher wirklich auslegen, dann wird ihr Predigtstil frisch und abwechslungsreich sein.
6. Fortlaufende Auslegungspredigten sind für den normalen Christen ein Vorbild für gutes, nahrhaftes Bibellesen.
Ein guter thematischer Vortrag erscheint dem jungen Christen wie der Griff in einen Glückstopf, bei dem der Prediger in die Bibel gegriffen und einen Hauptgewinn  gezogen hat. Aber ein schlechter thematischer Vortrag sieht wie das Ziehen einer Niete aus! In beiden Fällen kann der junge Christ nicht sehen, wie er oder sie das jemals könnte. Er lernt die Bibel so kennen, wie ich als Teenager London kennen gelernt habe, nämlich nur über kleine Gebiete um einige U-Bahn Stationen herum. Ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war, als ich entdeckte, dass London über der Erde tatsächlich zusammenhing! Mit biblischen Bücher lernen wir die größeren Abschnitte kennen, aus denen die Bibel zusammengesetzt ist.
Fortlaufende Auslegung vermittelt dem normalen Christen: Das kannst du auch! Du kannst dir auch z.B. den Philipperbrief vornehmen und ihn Tag für Tag lesen. Du kannst den Philipperbrief als Projekt für deine persönliche Bibellese- und Gebetszeit nehmen. Leb eine Weile im Philipperbrief. Lies ihn ganz durch und dann lies ihn Stück für Stück und verbinde diese Teile. Dies ist ein Modell für eine Art des Bibellesens, das nährt und trägt.
7. Fortlaufende Auslegungspredigten helfen uns, den ganzen Christus aus der ganzen Heiligen Schrift zu predigen.
Reife Jüngerschaft entsteht aus einer vollständigen Offenbarung Jesu Christi. Und diese kommt nur aus der ganzen Bibel. Der einzige Zugang, den wir zum authentischen Jesus haben, basiert auf der ganzen Bibel. Sie ist das Zeugnis des Vaters über den Sohn, das er durch den Geist gegeben hat. Wir dürfen daher erwarten in unserer Erkenntnis Jesu zu wachsen, wenn uns die ganze Bibel gelehrt wird. Christen, die immer nur einem Teil der Bibel ausgesetzt sind, begegnen immer nur einem teilweisen Jesus. Die Aufgabe der Prediger ist es, Christus so zu verkündigen, dass Menschen vollkommen in Christus dargestellt werden (Kolosser 1,28-29). Eine regelmäßige Kost von fortlaufenden Auslegungspredigten ist am besten dazu geeignet, den vollen Reichtum Christi zu lehren.
Lasst uns also unsere Prediger ermutigen, Gott das Mikrofon zu geben, indem sie uns die Bücher der Bibel erklären. Lasst uns niemals mit „Lifestyle-Tipps“ zufrieden sein!
Christopher Ash
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Christopher Ash’s Artikel „Give God the Microphone“ (Evangelicals Now, Juni 2009), der auf seinem Buch „The Priority of Preaching“ (Christian Focus, 2009) basiert und hier mit der Erlaubnis von Evangelicals Now wiedergegeben wird. Christopher Ash arbeitet für den Proclamation Trust als Direktor des Cornhill Training Course in London.

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