In Markus 3 finden wir einige Hinweise drauf, wie der Anfang einer Reaktion aussieht. Ich sage bewusst nur "Anfang", denn wir brauchen die ganze Bibel für einen ganzheitlichen Umgang mit Ungerechtigkeit. Vieles bleibt hier entweder nicht oder kaum erwähnt: die Rolle des Staats und des Einzelnen, Vergebung, Umkehr, strukturelle Ungerechtigkeit, gesetzliche Bestrafung, wie auch Gottes gerechtes Gericht am Ende der Welt, usw. Nichtsdestotrotz findet man hier einen Anfang:
Die Situation:
Wir sind in einer Synagoge, wo ein Mensch mit verdorrter Hand ist (v.1). Jesus ist da. Aber statt den Mann zu Jesus zu führen, in der Hoffnung, dass er geheilt wird, "lauerten [die Anwesenden] ihm auf, um zu sehen, ob Jesus ihn am Sabbat heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten." (v.2).
Was macht diese Situation ungerecht?
1. Der Mann mit der verdorrten Hand wird ausgenutzt, als Mittel zum Zweck. Sein Leid wird instrumentalisiert, damit Jesus verklagt werden kann.
2. Es geht nicht nur um ein fehlendes Handeln oder stilles Schweigen, sondern um den Eigenschutz. Jesus und seine Jünger haben schon vier Mal in Kapitel 2 Konflikt mit der religiösen Elite gehabt. Sie halten sich nicht an die Regeln, die die Pharisäer erfunden haben. Somit werden der Status und die Rolle der Pharisäer im Tempel und in der Gesellschaft bedroht.
3. Gottes Gebot, das Er für das Wohlsein der Menschen gibt, wird zur Seite geschoben, um menschliche Regeln aufzustellen, (Heilverbot am Sabbat), die das Wohlsein der Menschen hindern, statt fördern. (cf. Lukas 13:14-17). Somit prägt die Ungerechtigkeit der Pharisäer auch die gesellschaftlichen und religiösen Strukturen, in denen sie wirken.
4. Es könnte sein, dass nur die Pharisäer ungerecht handeln. Markus sagt uns nicht, wer die "sie" in Vers 2 sind. Doch hätte nicht dann ein anderer Anwesende den Mann zu Jesus gebracht? Es ist also gut möglich, dass Markus die normalen Besucher durch ihr Schweigen als mitschuldig sieht.
5. Wenn Jesus ihnen eine Möglichkeit zur Umkehr gibt (v.4), bleiben sie still.
Die Reaktion von Jesus:
Vers 5: "Indem Er sie ringsumher mit Zorn ansah, betrübt wegen der Verstocktheit ihres Herzens, sprach Er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus, und seine Hand wurde wieder gesund wie die andere."
Markus schildert uns eine dreifache Reaktion, die besonders auffällig ist, weil Markus uns dabei Einblick in Jesu Emotionen gibt.
1. Jesus ist zornig: "Er sah sie mit Zorn an". Jesus findet ihr Verhalten ungerecht, und ist innerlich wütend drüber. BB Warfield schreibt dazu: "Der hier verwendete Begriff bedeutet eine bleibende Entrüstung, die Vergeltung verlangt. Jesus wird hier in dieser Stelle genau jene Empörung über Ungerechtigkeit zugeschrieben, die die Bestrafung des Ungerechten will und beabsichtigt. Diese Entrüstung bildet der Kern von dem, was wir 'vergeltende Gerechtigkeit' nennen". (BB Warfield, The Emotional Life of our Lord.) Der Begriff kommt auch in Off 6:16 vor, wo die Rede von dem "Zorn des Lammes" ist.
2. Jesus ist traurig: Er ist "betrübt". Jesus sieht auch die Ungerechten als Menschen, die Er geschaffen hat. Ihre Hartherzigkeit verletzt ihn zutiefst. Warfield schreibt, "ihre Hartherzigkeit schafft in Jesus die tiefste Unzufriedenheit, es schmerzt ihn... Wenn Jesus die Unmenschlichkeit der Menschen zu dem Mann sieht, schafft das Unbehagen in seinem Herzen." (Ibid).
3. Jesus ist barmherzig: Markus zeigt uns dieses dritte Teil Jesu Reaktion nicht durch einen Einblick in Jesu Herz, sondern durch sein Handeln. Er spricht zu dem Mann, den alle ignorieren. Und Er heilt ihn. Wieso stellt Markus Jesu Barmherzigkeit durch seine Taten dar? Wohl weil Jesu Barmherzigkeit nie bloß eine Herzenssache ist, sie wird immer in Wort und Tat sichtbar. Wenn Jesus sich über Menschen erbarmt, dann tut Er auch was für sie.
Es ist auch wichtig hier zu sehen, was Jesus nicht sagt. Er weiß sehr wohl, dass der geheilte Mann auch Sünder ist (Mk 7:20-23). Aber Er sagt nichts darüber. Seine Sündhaftigkeit wird nicht abgestritten, aber sie hindert Jesus nicht, in dieser Situation, die Pharisäer als schuldig und den Mann als unschuldig zu sehen.
Hier erkennen wir, dass Jesu innerlich absolut perfekt ist. Ihm fehlt nichts an seiner Menschlichkeit. Angesichts einer ungerechten Situation zeigt Er eine ganzheitliche Reaktion. Hätte Er nur zwei der drei Emotionen gehabt, wäre Er unausgeglichen und ihm hätte etwas gefehlt.
Als Menschen die Jesus nachfolgen (c.f. Mk 8:34), wollen wir also Ungerechtigkeit mit Zorn, Traurigkeit, und Barmherzigkeit begegnen.
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