Montag, 15. Juni 2015

Wahre Gotteserkenntnis (2)


"XXI. Der Theologe, der Gottes unverborgene Herrlichkeit sucht, nennt das Übel gut und Gutes übel, der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge beim rechten Namen.
Das ist klar. Denn solange er Christus nicht kennt, erkennt er auch den in Leiden verborgenen Gott nicht. Daher zieht er die Werke den Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuze, die Macht der Schwachheit, die Weisheit der Torheit und überhaupt das Gute dem Übel vor. Solche sind es, die der Apostel »Feinde des Kreuzes Christi« nennt (Phil. 3, 18). Und gewiss deshalb, weil sie Kreuz und Leiden hassen, die Werke und ihre Herrlichkeit jedoch lieben; so nennen sie das Gut des Kreuzes ein Übel und das Übel des Werkes ein Gut. Aber es ist schon gesagt, dass Gott nur in Leiden und Kreuz zu finden ist. 

Daher sagen die Freunde des Kreuzes, dieses sei gut und die Werke böse, denn durch das Kreuz werden die Werke zerstört und Adam gekreuzigt, der durch Werke vielmehr erbaut wird. Denn es ist unmöglich, nicht durch seine guten Werke aufgeblasen zu werden, wenn man nicht zuvor durch Leiden und Übel vollkommen arm und leer geworden ist, bis man weiß, dass man selbst nichts ist und dass die Werke nicht einem selbst, sondern Gott entstammen.

XXII. Die Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt, bläht auf, macht blind und verstockt.


Das ist schon gesagt, denn dadurch, dass sie das Kreuz nicht kennen und es hassen, lieben sie zwangsläufig sein Gegenteil, also Weisheit, Herrlichkeit, Macht usw. Sie werden darum durch solche Vorliebe noch blinder und verstockter. Unmöglich wird nämlich Lust gestillt, wenn sie erreicht hat, was sie suchte. Wie nämlich die Sucht nach Geld in gleichem Maß wie das Geld selbst wächst, nimmt auch die Wassersucht der Seele zu; je mehr sie trinkt, desto durstiger wird sie, wie der Dichter sagt: »je mehr sie trinken, desto mehr dürsten sie nach Wasser.« So heißt es Pred. 1, 8: »Das Auge wird nicht satt vom Sehen, noch das Ohr vom Hören.« Gleiches gilt von allen Begierden.

So wird auch die Wissbegier nicht etwa gestillt, wenn das Wissen erworben ist, sondern nur um so heftiger entflammt, eben sowenig wie die Ehrsucht durch erlangten Ruhm befriedigt wird, noch wird die Herrschsucht durch Macht und Herrschaft oder die Ruhmsucht durch Ruhm gesättigt – wie Christus Joh. 4, 13 zeigt, wenn er sagt: »Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wiederum dürsten.« – Es bleibt also als Heilmittel nur, der Sucht nicht nachzugeben, sondern sie auszulöschen, d.h. wer wirklich weise werden will, suche nicht Weisheit in ständigem Fortschritt, sondern werde ein Tor und suche Torheit in ständigem Rückschritt. 

So soll der, der wirklich mächtig und berühmt sein und genießen, ja alles zur Genüge haben will, statt Macht, Ehre, Genuss und genug von allem haben zu wollen, vielmehr davor fliehen als es suchen. Das ist die Weisheit, die für die Welt Torheit ist."

Luther, Heidelberger Disputatio



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